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Eine Achterbahnfahrt

Aufs und Abs und davon irgendwie jede Menge in letzter Zeit.

 

Da ich die ersten beiden September Wochen im WEM war, hatte ich ziemlich viel Zeit zum Denken und grübeln. Freie Zeit war schon in Deutschland nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung, lieber hatte ich den Kopf voll mit Aufgaben und konnte am Ende des Tages sehen, was ich alles geschafft hatte. Im WEM-Center habe ich vormittags jedoch eine Zwangspause, die das Nachdenken fördert und mir manchmal den letzten Nerv raubt.

So war ich am letzten Sonntag froh, endlich wieder in Ashaiman zu sein.

Zurück in Ashaiman habe ich gemerkt, wie sehr mir der Trubel der Großstadt gefallen hat, keine Angst Freunde, im Herzen bin und bleibe ich ein Dorfkind. Aber der trubelige Markt mit seinen Farben, seiner Lautstärke und die offene Art der Menschen ist einfach wunderschön.

Nach zwei Wochen WEM habe ich es dann richtig genossen, mich in Ruhe mit meinen Mitfreiwilligen unterhalten zu können, ohne von Kindern gestört zu werden und den Wohnkomfort des Volu-Hauses zu erleben. Wobei es für mich einfach ziemlich wichtig war, sich in Ruhe über die letzten Woche zu unterhalten, die nicht immer einfach waren und emotional teilweise einer Achterbahnfahrt glichen. Dadurch habe ich mich immer wieder mit den gleichen Fragen auseinandergesetzt und eine für mich richtige Lösung habe ich noch nicht so wirklich gefunden.

 

Die zwei wichtigsten Fragen für mich waren und sind wohl...

 

Wer bin ich? Was mache ich hier eigentlich?

 

 

Ich weiß, das sind Fragen die eigentlich so gar nicht richtig zu mir passen, weil eigentlich wusste ich schon immer was ich will. Und ich musste mich nie wirklich damit auseinandersetzen was mich aus macht, dass stand für mich immer ganz genau fest.

 

Aber in letzter Zeit bin ich durch die vielen neuen Rollen, die ich hier in Ghana erfüllen muss, manchmal etwas verwirrt. Dann frage ich mich, wer ich eigentlich wirklich bin und was sind Rollen, die ich nur hier in Ghana erfüllen muss.

 

Da ich in den letzten Wochen immer wieder feststellen musste, wie schwierig es ist, in einer vollkommen fremden Kultur zu leben, habe ich mich noch einmal viel mehr mit diesen Fragen auseinandergesetzt.
Ausgelöst wurde das Ganze wohl dadurch, dass ich inzwischen Dinge in Ghana erlebt habe, die ich mit meinen eigenen Moralvorstellungen und Erwartungen nicht nachvollziehen kann. Was dazu führt, dass ich in letzter Zeit immer wieder an meine eigenen Grenzen gestoßen bin und mich eine Zeitlang auch gefragt habe, ob dieses Jahr wirklich so sinnvoll ist. Ob es das ist, was ich will, wofür ich motiviert bin und das wofür ich stehen möchte.

 

Das Alles kommt für euch jetzt vielleicht ein bisschen unerwartet, weil ich einfach schon viel über die schönen Momente in Ghana berichtet habe, die zum Großteil einfach überwiegen. Und macht euch jetzt bitte keine Sorgen, ich bin immer noch begeistert von Ghana, generell ist das Leben hier echt schön und ich möchte auf diese Erfahrungen auch nicht mehr verzichten.

 

Aber es gab in den letzten Wochen einfach einige Momente, in denen ich die Handlungen der ghanaischen Mitarbeiter nicht nachvollziehen konnte oder wollte. Augenblicke auf die ich so gar nicht vorbereitet war, Augenblicke in denen ich einfach nicht weiterwusste und auch meine Mitfreiwilligen keine Ideen mehr hatten.


Denn,

wie spricht man in einer ganz anderen Kultur Kritik aus?
Kann ich als Freiwillige überhaupt das Handeln eines erfahrenen Mitarbeiters in Frage stellen?

Welche Sichtweise ist jetzt die Richtige?
Habe ich das überhaupt richtig verstanden?


Fragen, mit denen man sich erstmal auseinandersetzen muss und bei denen man sich irgendwann im Kreis dreht…
Für uns stand dann aber irgendwann auch fest, dass es uns jetzt reicht und wir Klarheit haben wollen, weil das Gedankenkarussel irgendwann ja auch mal stehen muss.

 

Beim stoppen unseres Gedankenkarussels sind wir in Ghana einigen Menschen auf die Füße getreten, ohne dass es unsere Absicht war. Dadurch ist die Stimmung zwischen Freiwilligen und Mitarbeitern im Moment etwas angespannt und wir bemühen uns dieses Verhältnis zu entspannen, da wir unser Jahr gerne in einer angenehmen Atmosphäre fortsetzen möchten.

Auch wenn ich inzwischen viel neues Hintergrundwissen erhalten habe und die Entscheidungen der Mitarbeiter teilweise nachvollziehen kann, kann ich sie nur schwer akzeptieren. Nach viele Gesprächen und Diskussionen habe ich immer noch ein bisschen das Gefühl, dass ein richtiger Austausch nicht so richtig statt gefunden hat und wirklich abgeschlossen habe ich mit der Situation auch nicht.

 

Ja, mir wurde in letzter Zeit immer mehr bewusst, wie schwer es ist die Kinder hier im Projekt zu erziehen und ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Denn ein Straßenkind in Ghana zu sein bedeutet, dass man schon in frühen Jahren seelische Verletzungen erlebt und viele Überlebenskämpfe überstanden hat, die wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen können. Mit diesem Hintergrundwissen erkennt man dann auch, dass es nicht mehr viel gibt, was diese Kinder schocken kann. Aber welches nun der richtige Erziehungsweg ist, darüber wird es wohl erst einmal weiter einen Kulturkonflikt geben. Da die Sichtweisen hier einfach sehr verschieden sind.

 

Neben diesem Problem frage ich mich immer wieder, wie sehr mich die Rollenbilder der Ghanaer beeinflussen und ob ich dahinter nicht teilweise verschwinde.

 

Individualität ist in Ghana, finde ich nicht so wirklich großgeschrieben, da bin ich als Weiße gefühlt manchmal schon individuell genug.

Es ist einfach ein vollkommen fremdes System, bei dem die eigene Meinungsbildung gefühlt einen ganz anderen Stellenwert hat und man mit der eigenen Meinung glaub ich irgendwie anders umgeht. Für mich persönlich habe ich es einfach noch nicht durchschaut. Ich habe nur ab und zu das Gefühl, dass dieses System nicht so ganz zu mir und meiner Persönlichkeit passt, weil ich in Deutschland immer wusste was ich als richtig und falsch empfinde und auch kein Problem damit hatte meine Meinung zu vertreten.

 

Hinzu kommt dann noch, dass ich hier in Ghana meinen Kleidungsstil etwas verändern musste, was generell ja kein Problem ist, aber durch den eigenen Kleidungstil konnte ich mich bisher immer wieder mit mir selbst identifizieren. Auch das Rollenverständnis ist ein ganz anderes und wurde uns in der ersten Woche direkt erklärt. Es gibt gänzlich andere Erwartungen an die ghanaische Frau und jetzt irgendwie auch an Marie und mich. Aber diese Rolle kann ich in Deutschland ja problemlos wieder ablegen.

 
Die Rolle der Freiwilligen habe ich immer noch nicht so ganz verstanden und mir ist momentan komplett unklar, was sie für mich bedeutet. Denn in welcher Funktion bin ich eigentlich hier und wie sieht meine Beziehung zu Mitarbeitern und Beneficiaries aus.
Und in wie weit beeinflusst diese Rolle mein Handeln während und nach dem Jahr.

 

Die größte Frage bleibt für mich jedoch, welche kulturellen Unterschiede/Entscheidungen muss ich akzeptieren und welche sollte ich hinterfragen.

 

Klar wusste ich Ghana ist nicht einfach und es wird eine Zeit sein, in der ich immer wieder neue Probleme lösen muss, die vorher nicht zu erahnen waren. Probleme die mich vielleicht auch an meine Grenzen bringen und die mich in letzter Zeit immer mal dazu gebracht haben, dass ich mich gefragt habe, ob es wirklich schlau war, sich Hals über Kopf in so ein Abenteuer zu stürzen.

 

Denn es ist nicht immer einfach sich an eine fremde Kultur anzupassen ohne die eigene Identität und die eigenen Wertvorstellungen zu verlieren.

 

In all diesem Chaos ist es aber super zu wissen, dass es jede Menge Menschen gibt, die mich immer wieder unterstützen. Macht euch jetzt keine Sorgen die Achterbahn nimmt schon wieder Anlauf, es gibt zum Glück immer wieder positive Augenblicke, die mir zeigen, wie viel ich aus dieser Achterbahnfahrt mitnehmen kann.

 

Und vergesst bitte eines nicht, dass alles sind meine subjektiven Eindrück, die es nicht erlauben über ein Land oder eine Kultur zu lernen. Weil wenn ich eins in den letzten Wochen gelernt habe, dann das die eigenen Moralvorstellungen und Gefühle immer darauf beruhen, wo man herkommt. Jeder Einzelne hat eigene Bedürfnisse und Ideale, wodurch es manchmal schwierig ist die Meinung und Einstellung eines Anderen nachzuvollziehen. Aber jedes System funktioniert ebend nur, wenn es von Leuten geführt wird, die dieses System verstehen.

In Deutschland könnte man nie jemandem den ghanaischen Lebensstil aufzwängen, da er für uns häufig nicht logisch erscheint. Die selbe Perspektive hat aber auch ein Ghanaer, für ihn macht das deutsche System einfach keinen Sinn und das selbe Prinzip könnte man mit Millionen anderen Kulturen vergleichen....

 

 

Ganz liebe Grüße

 

Eure Jule

 

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P.S.: Der Artikel ist jetzt leider ein bisschen spät erschienen, von daher der ganz wichtige Zusatz, inzwischen hat sich hier relativ viel getan und wir hatten einige Gespräche, die mir den Umgang mit diesem Kulturkonflikt sehr erleichtern. Wodurch ich mich jetzt auch wirklich auf die nächsten Wochen und Monate freue.